Geldpolitik in Zeiten multipler Herausforderungen Keynote beim Jahresempfang des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp)

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

herzlichen Dank für die Einladung und die freundlichen Worte. Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein.

Morgen geht schon das erste Türchen im Adventskalender auf. Vor Weihnachten ist für manche eine besinnliche, gemütliche Zeit – etwa mit Weihnachtsmarktbesuchen oder Plätzchenbacken. Für manche hingegen ist es eher Stress. Für viele gibt der nahende Jahreswechsel auch Anlass, auf das zu Ende gehende Jahr zurückzublicken und sich Gedanken über das kommende Jahr zu machen.

Anlässlich des heutigen Jahresempfangs möchte ich mit Ihnen die Geldpolitik 2023 Revue passieren lassen, gefolgt von einem Ausblick auf 2024. Und wie es im Redetitel heißt, werden wir uns „multiplen Herausforderungen“ zuwenden.

2 Zu hohe Inflation als zentrale Herausforderung

Für die Geldpolitik des Eurosystems ist unter den vielen Herausforderungen ganz klar eine zentral: Die Inflation im Euroraum ist schon viel zu lange zu hoch. Wir im EZB-Rat müssen unser Mandat erfüllen. Wir müssen die Inflation wieder in Einklang mit unserer Zielrate von mittelfristig 2 Prozent bringen.

Die Entwicklung der vergangenen Monate ist ermutigend: Im September und Oktober hat die Preissteigerung kräftig nachgelassen – sowohl in Deutschland als auch im Euroraum. Laut vorläufiger Schätzungen sind die am Harmonisierten Verbraucherpreisindex gemessenen Teuerungsraten im November weiter gesunken auf 2,4 Prozent im Euroraum und 2,3 Prozent in Deutschland. Dagegen lagen die Höchststände im Oktober vor einem Jahr bei 10,6 Prozent beziehungsweise 11,6 Prozent.

Angesichts der vergangenen Preisentwicklung sind die Ergebnisse einer langjährigen Studie über die Ängste der Deutschen zwar kaum überraschend, aber alarmierend.[1] Im laufenden Jahr steht die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten zum zweiten Mal in Folge an erster Stelle (mit 65 Prozent). Als Zentralbanker ist es unser Auftrag im EZB-Rat, die Inflation wieder einzufangen und Preisstabilität herzustellen. Dann müssen die Menschen sich nicht länger über Inflation sorgen.

Dabei sind insbesondere Inflationserwartungen wichtig für die Geldpolitik, weil sie das Verhalten von Wirtschaftsakteuren beeinflussen, zum Beispiel private Haushalte bei ihren Kaufentscheidungen und beim Sparen, Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Tarifpartner bei Lohnverhandlungen oder Unternehmen bei ihrer Preissetzung.

Wenn die Wirtschaftsakteure Preisstabilität erwarten und sich entsprechend verhalten, dann fällt es der Geldpolitik leichter, ihr Ziel zu erreichen. Umgekehrt erschwert es die Aufgabe der Geldpolitik, wenn höhere Inflationserwartungen etwa zu stärkeren Lohnanstiegen führen oder zu stärker steigenden Preisen. Eine Bundesbank-Umfrage hat beispielsweise ergeben, dass das mittelfristige 2-Prozent-Ziel des Eurosystems im Jahresverlauf 2022 in den deutschen Tarifverhandlungen deutlich an Bedeutung verlor. Dies gilt insbesondere für die Lohnforderungen der Gewerkschaften.[2]

Mit dem Rückgang der Inflation seit November 2022 haben sich die kurzfristigen Inflationserwartungen von Privatpersonen in Deutschland und im Euroraum in die gewünschte Richtung entwickelt. Wie Umfragen von Bundesbank, EZB und Europäischer Kommission einhellig zeigen, setzte nach den Höchstständen im zweiten Halbjahr 2022 eine Abwärtsbewegung ein. Seit diesem Sommer allerdings haben die Inflationserwartungen der Privatpersonen eher seitwärts oder teils sogar wieder aufwärts tendiert, obwohl zugleich die Teuerungsraten weiter gesunken sind.

An den Finanzmärkten herrscht nach wie vor hohe Unsicherheit über die längerfristige Preisentwicklung. Zwar preisen die Märkte über die kommenden Monate einen weiteren Rückgang der Inflation ein. Allerdings liegen die langfristigen Markterwartungen weiter ein gutes Stück von 2 Prozent entfernt. Die Marktakteure sichern sich auf die lange Frist weiterhin gegen das Risiko zu hoher Inflation ab. Und durch den Nahost-Krieg haben Inflationsrisiken neue Nahrung erhalten.

Das 2-Prozent-Ziel des Eurosystems wirkt zwar als Anker für die Inflationserwartungen. Die Geldpolitik kann jedoch mit dem Erreichten noch nicht zufrieden sein. 

3 Geldpolitischer Jahresrückblick

Rückblickend fragt man sich ja oft: Was war gut? Was war schlecht? Was hätte ich besser machen können?

Meine Damen und Herren, der EZB-Rat hat mit seinen Zinsanhebungen klipp und klar gemacht, wie entschlossen er ist, die Inflation zu bekämpfen. Damit bin ich aus heutiger Sicht sehr zufrieden. Im September haben wir die Leitzinsen zum zehnten Mal in Folge erhöht. Insgesamt sind sie innerhalb von nur 14 Monaten um 4 ½ Prozentpunkte gestiegen.

Ergänzend zu den Leitzinsanhebungen führen wir die Bilanz des Eurosystems zurück. Zum Schrumpfen der Bilanzsumme hat bisher wesentlich beigetragen, dass die Banken ihre Kredite aus den längerfristigen Refinanzierungsgeschäften an uns zurückzahlen. Außerdem haben wir im größten Anleihekaufprogramm, dem APP, die Reinvestitionen erst reduziert und seit Juli ganz eingestellt. Dadurch verkürzt sich die Bilanz des Eurosystems im Durchschnitt um monatlich rund 25 Milliarden Euro.

Gegenüber vor gut einem Jahr hat sich die Bilanz des Eurosystems um 1.700 Milliarden Euro verkleinert. Doch die Bilanzsumme beträgt noch immer etwa 7 Billionen Euro. Das Abbau-Tempo kann deshalb in meinen Augen noch steigen. Denn, und das werde ich gleich noch näher ausführen, eine schlankere Notenbankbilanz bleibt erstrebenswert.

4 Ausblick auf 2024

Und damit sind wir beim Blick nach vorne angelangt. In zwei Wochen ist die letzte EZB-Ratssitzung in diesem Jahr. Dann werden auch die neuen Projektionen der Fachleute des Eurosystems veröffentlicht. Bis dato ist davon auszugehen, dass die Inflationsraten im Euroraum dieses und nächstes Jahr noch klar über 2 Prozent liegen. 2025 kommen wir dem Zielwert dann hoffentlich sehr nahe.

Einerseits gibt es deutliche Preisrückgänge auf den vorgelagerten Stufen, die Stück für Stück an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergereicht werden dürften. Und preisdämpfende Effekte der geldpolitischen Straffung wirken verzögert. Andererseits wird das Lohnwachstum wahrscheinlich kräftig bleiben, weshalb der zugrundeliegende Preisdruck nur langsam nachlassen dürfte. Im Oktober hat der EZB-Rat die Inflationsrisiken sorgfältig abgewogen und beschlossen, die Leitzinsen nicht weiter zu erhöhen. 

Wie es mit den Zinsen weitergeht? Diese Frage lasse ich offen: Denn es ist derzeit geboten, datenabhängig von Sitzung zu Sitzung zu entscheiden. Die Inflationsrisiken sind meines Erachtens aufwärtsgerichtet – nicht zuletzt aufgrund der aktuellen geopolitischen Lage. Deshalb schließe ich eine weitere Zinserhöhung nicht aus. Es erscheint mir zugleich deutlich zu früh, über eine mögliche Senkung der Leitzinsen überhaupt auch nur nachzudenken.

Und fürs kommende Jahr versichere ich Ihnen: Wir werden im Kampf gegen die Inflation hartnäckig bleiben. Die Bürgerinnen und Bürger sollen eine große Sorge weniger haben. Sie sollen wieder ruhiger schlafen und auf Preisstabilität vertrauen können. Dazu müssen die Leitzinsen so lange wie erforderlich auf ausreichend hohem Niveau bleiben.

Auf der Agenda des EZB-Rats steht außerdem bis Frühjahr die Überprüfung des operativen Handlungsrahmens. Es geht darum, auf welche Weise wir künftig die kurzfristigen Marktzinsen steuern wollen. Hierbei sind vielfältige Entscheidungen zu treffen, die die künftige Größe und Zusammensetzung der Bilanz des Eurosystems beeinflussen.

Eine schlankere Zentralbankbilanz ist aus meiner Sicht erstrebenswert, vor allem, weil sie mehr Raum gibt. Der Marktmechanismus erhält dann wieder mehr Spielraum, damit die Ressourcen dorthin fließen können, wo sie produktiv eingesetzt werden. Und die Geldpolitik gewinnt mehr Handlungsspielraum zurück, damit wir auch in Zukunft alle geldpolitischen Maßnahmen ergreifen können, die mit Blick auf das vorrangige Ziel der Preisstabilität nötig sind.

Wir müssen ein stimmiges Gesamtpaket der einzelnen Teile des operativen Handlungsrahmens schnüren. Beispielsweise gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, den geldpolitischen Kurs über die Kurzfristzinsen zu steuern. Mit anderen Worten: Der Handlungsrahmen zur Durchführung der Geldpolitik und der geldpolitische Kurs sind zwei Paar Schuhe!

Der geldpolitische Kurs ist auch unabhängig von absehbaren Verlusten in der Zentralbankbilanz. Dieses Thema dürfte spätestens zum Winterende wieder in den Fokus rücken, wenn die Bundesbank ihren Jahresabschluss 2023 vorstellt. Die Bundesbank hat finanzielle Belastungen aus der außergewöhnlich expansiven Geldpolitik vergangener Jahre und dem anschließend außerordentlich starken Zinsanstieg zu tragen. Doch Zentralbanken streben weder nach Gewinnmaximierung, noch können sie wie Geschäftsbanken Pleite gehen.

Wenn in den kommenden Jahren die finanziellen Puffer der Bundesbank nicht mehr ausreichen sollten, werden wir einen Verlustvortrag ausweisen. Und auch im Falle eines Verlustvortrags gilt: Die Bilanz der Bundesbank ist solide. Über die finanziellen Puffer hinaus besitzt die Bundesbank erhebliche Vermögenswerte. Zudem wäre ein Verlustvortrag für die Bundesbank nichts Neues und würde sie in keiner Weise daran hindern, ihren geldpolitischen Auftrag im Rahmen des Eurosystems zu erfüllen.

5 Multiple Herausforderungen

Mit dem außerordentlich starken Zinsanstieg sind auch Herausforderungen für das Finanzsystem verbunden. Lassen Sie mich hier nur ganz kurz auf Kernaussagen des jüngst veröffentlichten Finanzstabilitätsberichts der Bundesbank eingehen.

Der abrupte Zinsanstieg hat zu Marktwertverlusten zinstragender Anlagen geführt. Dies hat der deutsche Bankensektor bislang gut überstanden, unter anderem dank einer guten Kapitalausstattung. Auch die vdp-Mitgliedsinstitute hielten zur Jahresmitte 2023 knapp 40 Milliarden Euro mehr hartes Kernkapital als aufsichtlich gefordert. (Dies entspricht in etwa 3,4 Prozent der risikogewichteten Aktiva.)

Allerdings dürfte der Zinsüberschuss der Banken ihre Ertragslage künftig weniger stützen als im laufenden Jahr. Denn die deutschen Banken haben bislang davon profitiert, dass sie das gestiegene Zinsniveau teils nur zögerlich auf die Habenzinsen ihrer Kundschaft übertragen. Wahrscheinlich wird sich diese Zinsweitergabe bei anhaltend höherem Zinsniveau beschleunigen. Private Haushalte und Unternehmen haben bereits begonnen, Mittel von niedrig verzinsten Sichteinlagen in höher verzinste Termineinlagen umzuschichten.

Auf der Kreditseite verläuft die Weitergabe oder Transmission des beispiellosen Zinsanstiegs bisher deutlich stärker als auf der Einlagenseite. Das heißt aber nicht, dass die Transmission auf der Kreditseite unerwünscht stark ist. Insgesamt betrachtet kommen unsere Analysen zu dem Schluss, dass die straffere Geldpolitik im historisch üblichen Ausmaß weitergegeben wird.

Höhere Finanzierungskosten, ein geringeres Kreditangebot und eine schwächere Kreditnachfrage sind geldpolitisch beabsichtigt. Das ist ein notwendiger Zwischenschritt, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und schließlich den Preisdruck zu dämpfen.

Ein Bereich, in dem sich die Zinswende deutlich bemerkbar macht, ist der Immobilienmarkt. Den beobachten Sie als Pfandbriefbanken ja auch immer sehr genau. Mit Ihrem vdp-Immobilienpreisindex sind Sie der Zeit voraus. Und zwar gegenüber dem Statistischen Bundesamt um etwa sechs Wochen. Ihr Index, der auch in der Bundesbank häufig verwendet wird, deutet darauf hin, dass sich die Preisrückgänge im dritten Quartal fortgesetzt haben. Laut vdp-Statistik liegen die Preise für Wohnimmobilien nun knapp 6 Prozent unter ihrem Höchststand zur Jahresmitte 2022. Die Preise für Gewerbeimmobilien sind von ihrer Spitze im zweiten Quartal 2022 inzwischen um gut 12 Prozent gefallen.

Aus Sicht der Bundesbank-Fachleute dürften die rückläufigen Wohnimmobilienpreise zum Abbau noch immer vorhandener Überbewertungen beitragen. Damit reduziert sich das Risiko von starken Preiskorrekturen in der Zukunft.[3] Dennoch habe ich keinen Zweifel, dass Kreditgeber weiterhin auf der Hut bleiben – nicht zuletzt wegen des Wertverlusts von Sicherheiten.

Am Gewerbeimmobilienmarkt sieht die Bundesbank erhöhte Risiken. Hier ist bereits ein leichter Anstieg der Kreditausfälle erkennbar – von niedrigem Niveau aus. Der Abschwung am Markt für Gewerbeimmobilien geht einher mit strukturellen Herausforderungen, die aus Onlinehandel, Homeoffice und energetischen Anforderungen resultieren.

Alles in allem haben sich die Effekte des Zinsanstiegs noch nicht voll in den Bankbilanzen niedergeschlagen. Hinzu kommen Risiken aus dem Strukturwandel und eine erhöhte Unsicherheit. In diesem Umfeld sollten die Institute ihre Fähigkeit aufrechterhalten und wenn möglich stärken, negative Entwicklungen aus eigener Kraft abzufedern. Gewinne sollten daher zur Stärkung ihrer Resilienz verwendet werden.

Das bringt uns zum nächsten und letzten Teil meiner Rede. Die Zinswende ist nicht das einzige Phänomen, das zu Anpassungen herausfordert. Es gibt zugleich grundlegende Transformationsprozesse, die zweifelsohne Herausforderungen mit sich bringen – sowohl für die Wirtschaft als auch für die ganze Gesellschaft. Das sind vor allem Deglobalisierungstendenzen, die Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie – kurz also: die vier Ds.

5.1 Deglobalisierungstendenzen

Starten wir mit möglichen Deglobalisierungstendenzen. Grundsätzlich ist es nicht sinnvoll, auf die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung zu verzichten. Allerdings haben die Erfahrungen aus der Pandemie ein Umdenken angestoßen, die Lieferketten stabiler zu machen. Und die Erfahrungen mit russischen Energierohstoffen seit Beginn des Ukrainekriegs sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die einseitige internationale Verflechtung kritisch sehen.

„Geoökonomische Fragmentierung“ heißt das Schlagwort. Gemeint sind politische Bemühungen, die Wirtschaftsbeziehungen mit bestimmten Ländern zu entflechten und Abhängigkeiten zu begrenzen. Zumindest bei strategisch bedeutenden Gütern erscheint es nicht ausgeschlossen, dass manche Unternehmen in den nächsten Jahren Teile ihrer Produktion mit den zugehörigen Lieferketten verlagern: ins Inland oder in näher gelegene Länder oder in befreundete Staaten.[4]

Aus Sicht der Geldpolitik ist wichtig, dass mehr Sicherheit bei den Lieferketten nicht zum Nulltarif zu haben sein dürfte. Größere inflationäre Effekte wären insbesondere dann zu erwarten, wenn Lieferbeziehungen abrupt aufgegeben werden müssten. Eine graduelle Anpassung der Lieferketten dürfte hingegen nur begrenzte Effekte auf die Inflation haben. Dies hängt natürlich vom Ausmaß möglicher Kostensteigerungen ab und davon, wie sehr diese an die Kunden weitergegeben werden. In wissenschaftlichen Studien konnten für die Zeit der Globalisierung jedenfalls nur begrenzte Auswirkungen auf die Gesamtinflation gefunden werden.[5] Auch wenn wir alle sicherlich bei einzelnen Produkten die preissenkenden Effekte der Globalisierung gespürt haben. Wir als Zentralbank werden mit wachsamem Auge auf diese Entwicklungen schauen.

5.2 Dekarbonisierung

Auch das zweite D, die Dekarbonisierung, steht für einen weitreichenden Umbau der Wirtschaft. Die immer neuen Hitzerekorde sowie die steigende Häufigkeit extremer Wetterereignisse wie Dürren oder Starkregen und die damit verbundenen Folgen zeigen, wie nötig und dringend die ökologische Transformation ist.

Ein angemessener Preis für jede ausgestoßene Tonne CO2 ist dabei das effizienteste Mittel für den Klimaschutz. Es setzt marktwirtschaftliche Anreize für weniger Verbrauch, mehr Investitionen in grüne Technologien und mithin geringere Emissionen. Hinzu kommt der Ausgabenspielraum, den die Einnahmen eröffnen – beispielsweise zur Abfederung sozialer Härten. Auf dem Weg zu Klimaneutralität dürfte der CO2-Preis deutlich steigen. Ergänzend können ordnungsrechtliche Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Diese haben aber häufig selektiv noch stärkere Kostensteigerungen zur Folge. 

Nicht nur der Übergang zu grünerem Wirtschaften ist mit Kosten verbunden, sondern auch Maßnahmen zum Klimaschutz und zunehmende Schäden durch den Klimawandel. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Trinkwasser würde zunehmend knapp und teurer.

Deshalb muss die Geldpolitik in einer Übergangsphase mit tendenziell erhöhtem Preisdruck rechnen. Wie es danach weitergeht, ist noch höchst unsicher. Wenn Wind und Sonne ausreichend vorhanden sind, dann ist damit produzierter Strom konkurrenzlos günstig – der Strompreis könnte also im Durchschnitt unter Umständen sogar fallen.[6]

Wie groß die Herausforderungen der Transition für Wirtschaft und Geldpolitik ausfallen, hängt dabei entscheidend von der Ausgestaltung der Klima- und Wirtschaftspolitik ab. So zeigen Modellanalysen der Bundesbank, dass es im Falle einer ungeordneten klimapolitischen Transition zu erheblichen Mehrbelastungen der Wirtschaft kommen kann.[7]

Wenn klima- und wirtschaftspolitische Maßnahmen in sich stimmig und effizient am langfristigen Ziel ausgerichtet werden, dann können sie wesentlich dazu beitragen, Risiken und Unsicherheiten zu verringern. So zeigen etwa Berechnungen unserer Fachleute, dass verlässlich absehbare CO2-Preispfade allenfalls moderaten Inflationsdruck erzeugen dürften, den die Geldpolitik zu beachten hätte.

5.3 Digitalisierung

D Nummer drei, die Digitalisierung, ist in vollem Gange. Allzwecktechnologien wie Künstliche Intelligenz entwickeln sich gerade rasant. Eine wichtige Frage ist, ob Unternehmen durch den digitalen Wandel effizienter werden und ob letztlich die Produktivität der gesamten Volkswirtschaft steigt. Dies ist maßgeblich für Wirtschaftswachstum und Wohlstand.

Seit Längerem sind die Produktivitätszuwächse in vielen Industrieländern nur noch gering, obwohl sich digitale Technologien rasch verbreiten. Das verwundert, denn eigentlich wird der Digitalisierung doch nachgesagt, sie könne die Arbeitsproduktivität nachhaltig steigern.

Unsere Bundesbank-Fachleute haben diesbezüglich den Zeitabschnitt zwischen 1997 und 2018 untersucht mit folgenden Ergebnissen für die großen Länder des Euroraums:[8] Die Effizienzgewinne in den Digitalsektoren waren deutlich höher als im Rest der Wirtschaft. Und obwohl die Digitalsektoren nur einen relativ kleinen Anteil an der Gesamtwirtschaft ausmachen, haben sie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Arbeitsproduktivität entscheidend beeinflusst.

Ohne die Effizienzgewinne in den Digitalsektoren wären die Produktivitätsfortschritte in den großen Ländern des Euroraums wesentlich niedriger ausgefallen – oder die Produktivität hätte sogar stagniert. Allerdings scheint die effizienzfördernde Kraft des digitalen Wandels im untersuchten Zeitraum (bis 2018) nachgelassen zu haben. Danach hat zwar die Pandemie dem Einsatz digitaler Technologien einen Schub verliehen. Noch lässt sich jedoch nicht genau sagen, ob es dadurch zu messbaren Effizienzsteigerungen kommt. Entsprechende Befragungen von Unternehmen liefern aber Ergebnisse, die optimistisch stimmen.

Wenn digitale Transformationsprozesse die Arbeitsproduktivität erhöhen, dämpft dies für sich genommen die Lohnstückkosten der Unternehmen. Das mildert unter sonst gleichen Bedingungen den Preisauftrieb. Darüber könnte sich dann die Geldpolitik freuen, weil es ihr bei sonst stärkerem Preisauftrieb die Arbeit erleichtern würde.

5.4 Demografie

Allerdings verdichten sich die Hinweise, dass die Innovationstätigkeit sowie die Verbreitung neuer Technologien durch die gesellschaftliche Alterung gemindert wird.[9] Das vierte D, die Demografie, lässt sich leicht auf den Punkt bringen: Die Bevölkerung altert. Und ohne erhebliche Zuwanderung schrumpft sie. Inzwischen sind hierzulande mehr als ein Fünftel der Menschen 65 Jahre oder älter. Tendenz steigend.

Und was aktuell zunehmend Thema wird: Die demografische Entwicklung dürfte zu einem rückläufigen Arbeitsangebot führen. In Deutschland werden wahrscheinlich schon in wenigen Jahren mehr Babyboomer aus dem Arbeitsleben ausscheiden als Jüngere auf den Arbeitsmarkt kommen – trotz Nettozuwanderung.

Bereits heute herrscht verbreitet Personalmangel. Nicht nur hochqualifizierte Spezialistinnen und Spezialisten werden händeringend gesucht: Arbeitskräfte fehlen an vielen Ecken und Enden. Das betrifft insbesondere strukturell wachsende Wirtschaftsbereiche mit steigendem Personalbedarf wie das Gesundheits- und Sozialwesen oder den IT-Sektor. Aber auch anderenorts und selbst wenn es konjunkturell schlechter geht, werden Entlassungen oft vermieden – aus Furcht, in wieder besseren Zeiten keinen Ersatz mehr zu finden. Dieses Vorrat-Halten von Personal dürfte auch ein Grund sein, warum die Arbeitslosigkeit derzeit relativ niedrig bleibt.

Mit zunehmendem Mangel an Arbeitskräften wird der Wettbewerb um sie wahrscheinlich noch stärker werden. Die Politik kann dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken, indem sie die Rahmenbedingungen verbessert für mehr Arbeitsangebot. In meiner Verantwortung als Geldpolitiker steht es hingegen, auf mögliche Folgen dauerhaft enger Arbeitsmärkte zu achten.

Ein anhaltend höherer Lohndruck könnte die heimische Inflation verstärken. Denken Sie insbesondere daran, dass Dienstleistungspreise stark von den Löhnen abhängen. Die Geldpolitik müsste solch lohngetriebenem Inflationsdruck mit einem entsprechend straffen Kurs begegnen.

6 Schluss

Meine Damen und Herren, an Herausforderungen kann man wachsen oder verzagen. Das gilt in vielen Lebenslagen und auch für die Wirtschaft. Oder besser gesagt: Bestandene Herausforderungen können eine Wirtschaft leistungsstärker, widerstandsfähiger und zukunftsfester machen. Preisstabilität schafft dabei eine verlässliche Basis für das gesamte Wirtschaftsgeschehen. Die Geldpolitik ist bei ihrer zentralen Herausforderung, die zu hohe Inflation im Euroraum zu bekämpfen, ein gutes Stück vorangekommen. Wir werden nicht vorschnell lockerlassen.

Für das kommende Jahr 2024 wünsche ich Ihnen: Keine vier Ds, sondern vier Gs: alles Gute, Gesundheit, Glück und gutes Gelingen in Ihrem Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft! Uns allen wünsche ich vor allem auch, dass die Welt wieder friedlicher wird und rechtzeitige Fortschritte gegen den Klimawandel erzielt werden.


 

Fußnoten:

  1. R+V Studie: Die Ängste der Deutschen (ruv.de), Oktober 2023.
  2. Deutsche Bundesbank, Zur Rolle der Inflation und Inflationserwartungen in den Tarifverhandlungen in der Phase hoher Preissteigerungsraten, Monatsbericht August 2023, S. 56 f.
  3. Deutsche Bundesbank, Finanzstabilitätsbericht 2023; Deutsche Bundesbank, Zum Korrekturpotenzial der Preisübertreibungen bei Wohnimmobilien in Deutschland, Monatsbericht August 2023, S. 59 f.
  4. Deutsche Bundesbank, Wirtschaftsentwicklung in den Schwellenländern: alte Probleme und neue Herausforderungen, Monatsbericht Juli 2023, S. 66, 69 zu Deglobalisierungstendenzen.
  5. Europäische Zentralbank, The implications of globalisation for the ECB monetary policy strategy, Occasional Paper Series, Nr. 263 / September 2021.
  6. Siehe: Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE (2021), Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien, Juni 2021. https://www.ise.fraunhofer.de.
  7. Deutsche Bundesbank, Klimawandel und Klimapolitik: Analysebedarf und -optionen aus Notenbanksicht, Monatsbericht Januar 2022, S. 33- 62.
  8. Deutsche Bundesbank, Zur Bedeutung der Digitalisierung für die Entwicklung der Arbeitsproduktivität, Monatsbericht März 2023, S. 45-67.
  9. Deutsche Bundesbank, Zur Verlangsamung des Produktivitätswachstums im Euroraum, Monatsbericht Januar 2021, S. 15-47.