Digitaler Euro: Eine Chance für Europa Herbsttagung des Wildbader Kreises

Es gilt das gesprochene Wort.

1 Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist mir eine große Freude, heute als Gastredner bei der diesjährigen Herbsttagung des Wildbader Kreises anwesend zu sein. Ich möchte mich herzlich für die Einladung bedanken.

Sparkassen sind ein integraler Bestandteil der deutschen Finanzindustrie. 15 Prozent war der Anteil der Sparkassen an der Bilanz aller in Deutschland ansässigen Banken im vergangenen Jahr. Weitaus größer, genau doppelt so groß, ist der Anteil, wenn wir Kredite an private Haushalte und nichtfinanzielle Unternehmen betrachten. Die Sparkassengruppe spielt also eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. 

Dazu zählt, dass immer mehr Kunden ihre Finanzgeschäfte digital erledigen wollen. Die Corona-Pandemie hat diesen Trend verstärkt. Die Sparkassengruppe ist deshalb ebenfalls auf dem Weg, ihr Geschäft stärker zu digitalisieren.

Auch in meiner heutigen Rede geht es um die digitale Transformation. Und im vergangenen halben Jahrhundert war es die Finanzindustrie, die an der Spitze dieses globalen Megatrends stand. Ein gutes Beispiel dafür kennen wohl alle: den Geldautomaten. Denn in vielerlei Hinsicht ist der Geldautomat ein Vorreiter der digitalen Hochtechnologie. Beschleunigungssensoren, biometrische Scanner und Mikrokameras, die wir heutzutage in unseren Smartphones finden, wurden Jahre zuvor in Geldautomaten ausgetestet.[1]

Zuspruch erfuhr der Geldautomat auch vom ehemaligen US-Notenbankchef Paul Volcker. Im Jahr 2009 soll Volcker gesagt haben: „Der Geldautomat war die einzig nützliche Innovation im Bankwesen in den vergangenen 20 Jahren.[2] Natürlich hat Volcker in dieser Aussage ironisch zugespitzt. In Wirklichkeit ging es damals um die zahlreichen Innovationen am Verbriefungsmarkt, die zur Finanzkrise 2008 beigetragen haben. Auch wir Notenbanker mussten damals jahrelang umfangreiche Hausaufgaben in den Bereichen Finanzstabilität und Bankenaufsicht machen, damit der Geldautomat tatsächlich nicht als die einzig nützliche Finanzinnovation in die Geschichte eingeht. Meiner Meinung nach ist es uns gut gelungen.

Heutzutage, im Zeitalter der Smartphones, führt die Digitalisierung dazu, dass Bargeld als Zahlungsmittel und damit auch der Geldautomat nach und nach weniger genutzt werden. Auch wenn es in Deutschland noch immer das am häufigsten genutzte Zahlungsmittel ist.[3] 

Banknoten und Münzen sind jedoch bisher die einzige Möglichkeit für Privatpersonen, mit staatlichem Geld zu bezahlen. Dies ist mit ein Grund, warum derzeit etwa 90 Prozent der Zentralbanken auf der ganzen Welt an Projekten zu digitalem Zentralbankgeld arbeiten.[4] Auch das Eurosystem ist darunter. Der digitale Euro soll das Bargeld ergänzen, er soll das Spiegelbild des Bargeldes in der digitalen Welt werden. Er begegnet aber auch einiger Skepsis. Mit meiner Rede möchte ich dazu beitragen, diese zu zerstreuen.

Ich werde drei wichtige Gründe für die mögliche Einführung eines digitalen Euro näher beleuchten: Digitalisierung des Zahlungsverkehrs, Schutz der Privatsphäre und die Souveränität im Zahlungsverkehr. Anschließend skizziere ich noch einige Risiken, die mit der Einführung digitalen Zentralbankgeldes verbunden sein könnten, und erläutere, wie wir diesen Risiken begegnen wollen.

2 Digitalisierung im Zahlungsverkehr

Der erste Grund, warum wir aus meiner Sicht einen digitalen Euro brauchen, ist die zunehmende Digitalisierung der Zahlungsprozesse. Der digitale Wandel führt dazu, dass die Bedeutung des Bargelds tendenziell sinkt. Moderne digitale Bezahllösungen sind schnell und bequem. 

Laut einer aktuellen Erhebung der Bundesbank nimmt eine Zahlung mit dem Smartphone, der Smartwatch oder der Karte ohne PIN-Eingabe weniger Zeit in Anspruch als mit Bargeld.[5] Immer mehr Käufe werden bargeldlos abgewickelt, sei es durch Karten- oder Smartphone-Zahlungen an der Ladentheke oder gleich im Online-Handel.

Eine andere Zahlungsverhaltensstudie der Bundesbank zeigt, dass der Anteil der bar abgewickelten alltäglichen Zahlungen in Deutschland von 74 Prozent im Jahr 2017 auf 58 Prozent im Jahr 2021 gesunken ist.[6] Bei den wertmäßigen Anteilen sieht es ähnlich aus: Hier beobachten wir einen Rückgang von 48 Prozent im Jahr 2017 auf 30 Prozent im Jahr 2021. Zudem sind die Umsätze im Online-Handel in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gewachsen. Damit verringert sich der Anteil der Transaktionen in Bargeld weiter.

Was bedeutet eine Zunahme der bargeldlosen Zahlungen aber aus ökonomischer Sicht? Es handelt sich dabei um mehr als einen bloßen Wechsel der Zahlungsmethode. Denn die bargeldlosen Zahlungen werden mit privatem Giralgeld abgewickelt. Umgekehrt heißt es auch: Es wird immer weniger mit staatlichem Geld bezahlt.

Zwar ist anzunehmen, dass gewohnte Funktionen unseres Geldwesens auch in einer Welt gewährleistet werden können, in der privates Giralgeld dominiert. Schließlich gäbe es auch dort staatliches Geld in Form von Zentralbankreserven sowie öffentliche Regulierung. Dennoch wäre aus heutiger Sicht ein Geldsystem, in dem staatliches Geld nicht mehr breit genutzt wird, ein erheblicher Schritt auf unbekanntes Terrain.

Die Ökonomen Markus Brunnermeier und Jean-Pierre Landau bringen das wie folgt auf den Punkt: Moderne Geschichte kennt keine Fallbeispiele ohne öffentlich genutztes staatliches Geld. Daher wäre es gefährlich, die öffentliche Politik auf dieser Annahme aufzubauen. Es ist unklar, was unter solchen Bedingungen das öffentliche Vertrauen in das Geldsystem gewährleisten würde.“[7]

Darüber hinaus werden die Eigenschaften von Bargeld nach wie vor von vielen Bürgerinnen und Bürgern geschätzt. Laut Umfragen der Bundesbank zählen dazu vor allem die Anonymität des Bezahlvorganges, ein guter Ausgabenüberblick und die direkte Erledigung des Bezahlvorgangs.[8] Diese Vorteile werden wir auch in Zukunft weiter genießen können, denn Bargeld wird weiterhin ein wichtiges Angebot der Zentralbank bleiben.

Der digitale Euro – als digitales Bargeldäquivalent – würde den Bürgerinnen und Bürgern hingegen im digitalen Raum mehr Wahlmöglichkeiten beim Bezahlen geben. Aus meiner Sicht würde das die Unsicherheiten verringern, die die zunehmende Digitalisierung des Zahlungsverkehrs mit sich bringt.

3 Schutz der Privatsphäre

Die Digitalisierung sorgt aber für Risiken auch in einem anderen wichtigen Bereich. Die Rede ist vom Schutz der Privatsphäre. Auch der Datenschutz hängt eng damit zusammen. Und mit Blick auf den digitalen Euro ist es vor allem die Frage nach Preisgabe persönlicher Informationen, die die Menschen am meisten bewegt.

Das Eurosystem hat Bürgerinnen und Bürger im Euroraum gefragt, welche Eigenschaften eines digitalen Euro für sie besonders wünschenswert wären. Das Ergebnis war klar: Für die meisten Befragten spielt die Wahrung der Privatsphäre bei Zahlungen mit einem digitalen Euro die größte Rolle.[9] Dabei war der Anteil der Befragten, die diesem Argument Vorrang geben, in Deutschland am höchsten.

Das erfahre ich auch in persönlichen Gesprächen. Dabei höre ich oft die Besorgnis, die Einführung des digitalen Euro würde zu weitgehenden Einschnitten bei der Privatsphäre im Zahlungsverkehr führen. Tatsächlich wäre eher das Gegenteil der Fall. Denn digitale Prozesse im Zahlungsverkehr zeichnen sich durch starke Skalen- und Netzwerkeffekte aus. Das begünstigt globale Zahlungsdienstleister, die marktbeherrschende Positionen erlangen können.

Wenn wir uns allerdings in Abhängigkeit von globalen Zahlungsunternehmen begeben, ist oft unklar, was mit unseren Zahlungsdaten später geschieht. Was viele nicht wissen: Hinter manchen modernen Bezahllösungen verbergen sich oft ganze Kaskaden von externen Dienstleistern. Auf jeder dieser Stufen können Daten gesammelt und kommerziell verwertet werden.

Hingegen würde der digitale Euro größtmögliche Privatsphäre im digitalen Bereich gewährleisten. Kundinnen und Kunden hätten mehr Kontrolle über ihre Daten bei Dienstleistern, die Leistungen mit dem digitalen Euro erbringen. Das Eurosystem hätte keinen Zugang zu persönlichen Informationen. [10] Es würde lediglich sichergestellt, dass öffentliche Interessen wie die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gewahrt werden können.

4 Souveränität Europas im Zahlungsverkehr

Die Frage nach den europäischen Infrastrukturen im Zahlungsverkehr bringt mich zu meinem nächsten Punkt, der eine geopolitische Dimension hat: die Souveränität Europas im Zahlungsverkehr. Denn die Dominanz nicht-europäischer Bezahllösungen im europäischen Zahlungsverkehr könnte nicht nur zulasten des Datenschutzes gehen. Der russische Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 hat uns in Deutschland deutlich vor Augen geführt, welche Risiken aus einseitigen Abhängigkeiten im Energiesektor resultieren. Heutzutage ist aber auch der Zahlungsverkehr ein wichtiger Faktor der nationalen Souveränität in wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bereichen.[11]

Dabei gibt es im Euroraum nach 25 Jahren Euro noch immer keine grenzüberschreitende einheitliche europäische Lösung für digitales Bezahlen. Traditionelle bargeldlose Bezahllösungen privater europäischer Zahlungsdienstleister laufen Gefahr, die Bedürfnisse der Kunden zu verfehlen. Zwar gibt es durchaus erfolgreiche Innovationen im Zahlungsverkehr in einigen Mitgliedstaaten. Dazu zählen beispielsweise das Internet-Bezahlverfahren iDEAL in den Niederlanden oder die BIZUM-Wallet in Spanien. Doch die Reichweite solcher Bezahllösungen endet meist an Ländergrenzen.

Zudem haben viele nationale Bezahlverfahren es gar nicht geschafft, eine hohe Marktrelevanz innerhalb der eigenen Ländergrenzen zu erreichen. Hier ist leider auch der deutsche bankeneigene Anbieter Paydirekt mit seinem Bezahlverfahren Giropay zu nennen.[12] Vor diesem Hintergrund hat die Kreditwirtschaft den Bedarf an einer europäischen Lösung erkannt: 2020 haben mehrere Banken im Euroraum die European Payment Initiative – kurz EPI – gegründet. Ziel von EPI ist es, eine grenzüberschreitende europäische Bezahllösung zu entwickeln und Europa damit unabhängiger von globalen Zahlungsanbietern zu machen.

Aber auch der digitale Euro könnte hier einen wertvollen Beitrag leisten. Mit ihm bekämen die Menschen ein standardisiertes digitales Zahlungsmittel, das im gesamten Euroraum im alltäglichen Zahlungsverkehr funktioniert: an der Ladenkasse, im Online-Handel und auch bei Überweisungen zwischen Privatpersonen. Der digitale Euro würde auf europäischen Infrastrukturen laufen und die Souveränität Europas im Zahlungsverkehr weiter stärken.

Souveränität ist aber nicht mit öffentlicher Bereitstellung gleichzusetzen. Vielmehr könnte und sollte der digitale Euro auch privaten Bezahllösungen helfen, widerstandsfähiger und innovativer zu werden und zugleich mehr pan-europäische Akzeptanz zu erreichen. Es geht hier also nicht um Verdrängung privater Initiativen im Zahlungsverkehr. Im Gegenteil: Es geht darum, gemeinsam mit dem Bankensektor Innovationen und Produktivitätsfortschritte zu fördern.

5 Mögliche Risiken des digitalen Euro

Meine letzten Bemerkungen lassen schon erahnen: Die Einführung des digitalen Euro birgt auch einige Risiken, die es zu beachten gilt. Dabei geht es unter anderem um die Stabilität des Finanzsystems. Denn die Verfügbarkeit des digitalen Euro könnte Anreize für Unternehmen und Haushalte schaffen, Geldeinlagen aus dem Bankensektor in den digitalen Euro umzuschichten. In Zeiten hoher Unsicherheit könnte es zu abrupten und umfangreichen Abflüssen kommen, die die Finanzstabilität bedrohen würden.

Aber auch wenn die Bürgerinnen und Bürger ihre Bankeinlagen erst nach und nach in großem Umfang in den digitalen Euro umschichten, könnte sich das nachteilig auf die Lage im Bankensektor auswirken. Fachleute betiteln ein solches Szenario als strukturelle Disintermediation. Ohne Geldeinlagen würde Banken eine wichtige Finanzierungsquelle fehlen, sie wären in viel größerem Maße als jetzt auf Anleihen oder Zentralbankkredite angewiesen.

Es ist schwer, genau abzuschätzen, wie sich eine solche Disintermediation auf die Kreditversorgung der Wirtschaft auswirkt. Das Eurosystem ist fest entschlossen, dieses Szenario zu verhindern. Um das zu gewährleisten, ist ein Haltelimit für den digitalen Euro angedacht. Der Gouverneur der italienischen Zentralbank, Fabio Panetta, früher Mitglied im EZB-Direktorium, sagte dazu: Was wir anbieten wollen, ist ein Zahlungsmittel, keine Anlageform.[13] In der Diskussion ist ein Limit von 3.000 Euro, allerdings hat das Eurosystem dazu noch keine Beschlüsse gefasst. Die genaue Höhe würde das Eurosystem erst vor der Ausgabe des digitalen Euro festlegen.

Auch generell wollen wir vermeiden, dass der Fußabdruck der Zentralbank im Finanzsystem zu groß wird. Das Eurosystem soll keine Geschäftsbank für die Bürgerinnen und Bürger Europas werden. Daher planen wir den digitalen Euro zwar auszugeben, aber nicht zu verteilen. Demnach würden die Kundenschnittstellen wie bisher bei Banken, Sparkassen und Zahlungsdienstleistern liegen. Denn unser Ziel ist nicht, Geschäftsbanken zu ersetzen. Unser Ziel ist es, die Rolle des staatlichen Geldes auch in der digitalen Welt langfristig zu verankern.

6 Schlussbemerkungen

In diesem Monat startet das Eurosystem eine neue Phase beim Projekt digitaler Euro: die Vorbereitungsphase. Das bedeutet noch nicht, dass der digitale Euro eingeführt wird. Damit würde ich frühestens in vier bis fünf Jahren rechnen.

Viele Bürgerinnen und Bürger können sich unter dem Projekt des digitalen Euro noch wenig Konkretes vorstellen. Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten. Was bei technischen Neuerungen aber nicht ungewöhnlich ist. Auch nach Erfindung des Geldautomaten hatte es eine gewisse Zeit gedauert, bis die Bankkunden ihre Zurückhaltung ablegten.[14]

Ich bin fest davon überzeugt: Der digitale Euro wird ein Erfolg.
 

Fußnoten:

  1. Shepherd-Barron, J., Meet the true star of financial innovation – the humble ATM, Financial Times, Ausgabe vom 22. Juni 2017.
  2. O.V., Volcker Praises the ATM, Blasts Finance Execs, Experts. Wall Street Journal, Ausgabe vom 8. Dezember 2009.
  3. Deutsche Bundesbank (2022), Zahlungsverhalten in Deutschland 2021, S. 3.
  4. Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, BIS Annual Economic Report 2022, S.102.
  5. Deutsche Bundesbank, Schnelles Bezahlen mit Bargeld und kontaktlosen Zahlungsmitteln möglich, Pressenotiz vom 10.01.2023.
  6. Deutsche Bundesbank (2022), Zahlungsverhalten in Deutschland 2021, S. 26.
  7. Brunnermeier, M. K. und J. P. Landau (2022), The digital euro: policy implications and perspectives. Study requested by the ECON Committee of the European Parliament.
  8. Deutsche Bundesbank, Zahlungsverhalten in Deutschland 2021, S.12.
  9. EZB, Eurosystem report on the public consultation on a digital euro, April 2021, S. 11.
  10. EZB, A stocktake on the digital euro: Summary report on the investigation phase and outlook on the next phase, Bericht vom 18. Oktober 2023, S. 37.
  11. Balz, B. (2021), Digital Payments and European sovereignty, SUERF Policy Brief, No. 146, August 2021.
  12. Atzler, E, Onlineshopping: Erstmals ist Paypal beliebter als der Kauf auf Rechnung, Handelsblatt, Ausgabe vom 11. Mai 2023.
  13. Panetta, F., Interview mit der Financial Times, durchgeführt von Martin Arnold am 14. Juni 2021.
  14. O. V., So funktionierte Deutschlands erster Geldautomat, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 25. Mai 2018.